Die Bedeutung der Budo-Gürtelfarben im ZEN
weiß
Der Schnee liegt auf der Landschaft.
Der Lehrer sieht den Schüler nicht.
Der Schüler sieht die Lehre nicht.
gelb
Der Schnee schmilzt. Die harte, gefrorene Erde leuchtet gelb.
Der Lehrer sieht nicht, ob der Schüler fruchtbar ist.
Der Schüler sieht nicht, ob aus dieser Lehre für ihn Frucht wachsen wird.
orange
Die fruchtbare Erde leuchtet in der roten Abendsonne.
Der Lehrer sieht noch keine Frucht.
Der Schüler keimt, kann aber noch nichts.
grün
Ein Pflänzlein kommt?
Der Lehrer sieht, der Schüler versteht.
Der Schüler erkennt die Wirkung der Lehre.
blau
Die Baumkrone reicht in den Himmel.
Der Lehrer sieht das Leben seines Samens.
Der Schüler sieht die Tiefe der Lehre.
braun
Der Baum hat feste Borke.
Der Lehrer sieht den Beginn selbständigen Lebens.
Der Schüler sieht, fest gewachsen, den ersten Gipfel in der Ferne.
schwarz
Das Wandeln der Stille.
Die Gruß-Etikette im Karate-Dojo
Jeder, der sich irgendwann entschlossen hat, mit dem Karate-Training zu beginnen, merkt es schnell: Die Praxis beschränkt sich keineswegs auf die Vermittlung motorischer Fertigkeiten, den Interessenten erwarten darüber hinaus zahlreiche Verhaltensregeln.
Einen festen Bestandteil dieser Etikette stellt der formale Gruß im Stehen oder im Sitzen dar, der sich durch eine Verbeugung äußert.
Die erste Verbeugung wird dem Karateka bereits abverlangt, sobald er den Übungsraum betritt bzw. später wieder verlässt. Die Übenden kommen diesem Anspruch in der Regel auch anstandslos nach, doch sind sich viele über den Sinn dieser Verbeugung nicht im Klaren.
In den japanischen Kampfkünsten erfolgt keine Trennung von Körper und Geist, es geht nicht darum, einfach "Sport" zu treiben. Die Schulung des Körpers erfolgt stets parallel zur Ausbildung des Geistes, und dies im Karate auf eine sehr intensive Art und Weise. Der Karateka sucht im Training nicht nur die Auseinandersetzung mit einem möglichen Gegner, sondern auch mit seinen persönlichen Schwächen. Diese ständige Auseinandersetzung kann den Trainierenden durchaus an seine physischen und psychischen Grenzen bringen, um sich so die Grundlagen zu erarbeiten, irgendwann diese Grenzen – oftmals unbewusst - überschreiten zu können.
Das Training im Karate sollte immer die Person als Ganzes einschließen, sollte die Persönlichkeit schulen und prägen.
Dieses höchst intensive Arbeiten an sich selbst findet im Dojo statt, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um einen speziellen Raum, eine alte Turnhalle oder eine Übungsfläche im Freien handelt. Es ist der Geist, mit dem geübt wird, der aus einem Raum ein Dojo (Do = der Weg, Jo = der Ort) entstehen lässt. Man trainiert, um die Voraussetzungen zu verbessern, seinen persönlichen Lebensweg zu gehen.
Das Dojo stellt also einen ganz besonderen Ort dar. Dies wird im Karate verdeutlicht, in dem man nicht einfach in den Raum hinein läuft und mit dem Training beginnt. Der Karateka verharrt an der Tür, um sich selbst Zeit zu geben, sich in Erinnerung zu rufen, um welchen Raum es sich handelt und welche Erwartungshaltung mit dem Betreten des Dojo verbunden ist. Mit einer würdevollen, jedoch keinesfalls theatralischen Verbeugung bringt er das Verständnis und seine Akzeptanz zum Ausdruck.
Die nächste Grußzeremonie findet zu Beginn des eigentlichen Unterrichts statt. Die Aktiven nehmen in der Reihenfolge ihrer Graduierungen vor dem Lehrer Aufstellung und knien auf das Kommando "Seiza" (Niederknien) ab. Nun erfolgt das Kommando "Mokuso", nach dem die Karateka die Augen schließen und eine kurzzeitige Phase der Konzentration durchlaufen.
Die Bedeutung dieser Phase sollte nicht unterschätzt werden. Sie hilft dem Übenden, vom Alltag abzuschalten und sich auf das kommende Training zu konzentrieren. All die – sicherlich wichtigen – Probleme und Belastungen des täglichen Lebens sollen außerhalb des Dojo gelassen werden. Im Dojo sollen die Kräfte gesammelt werden, um diesem Problemen gestärkt entgegentreten zu können. Karate ist keine Spielsportart. Unkonzentrierte Trainingspartner könnten andere verletzen oder durch Unachtsamkeit selbst verletzt werden. Auch ist für das Erlernen komplexer Bewegungsformen ein hohes Maß an Konzentration notwendig.
Deshalb sollte die "Mokuso-Phase" zu Beginn des Trainings nicht auf ein Sekunden dauerndes "Augen zu – Augen auf" reduziert werden. Wer dieses Ritual für überflüssig hält, sollte es ganz weglassen.
Mit dem Kommando "Mokuso Yame" (Yame = Halt) endet diese Phase. Auf das nächste Kommando "Rei" grüßen sich Lehrer und Schüler gegenseitig. Auch hier wird mit der Verbeugung deutlich mehr ausgedrückt, als sich gegenseitig zu begrüßen. Der Lehrer symbolisiert mit dem Gruß seine Bereitschaft, sich größte Mühe zu geben, sein Wissen und Können an die Schüler weiterzugeben. Er kümmert sich um seine Schüler, ist an deren positiver Entwicklung interessiert und ist bereit, seinen Teil dazu beizutragen.
Der Schüler grüßt seinerseits mit dem Willen, hart und konzentriert zu trainieren. Er hat die feste Absicht, ein guter, verantwortungsvoller Trainingspartner und ein gelehriger Schüler zu sein.
Lehrer und Schüler drücken mit der Verbeugung aus, dass es für alle Beteiligten ein gutes Training werden soll.
Die Phase des Mokuso wiederholt sich am Ende des Unterrichts. Nach einem vielleicht sehr anstrengenden Training hat der Karateka die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und sich von möglicher Aufregung und Anspannung zu befreien. Es soll ruhig atmend und ausgeglichen zurück in den Alltag kehren.
Den Abschluss des Unterrichts bildet erneut eine Verbeugung im Knien. Der Lehrer bedankt sich auf diese Weise für den Einsatz und das Interesse seiner Schüler, während diese sich für das Training bedanken.
Verbeugungen oder Grußrituale im Karate sind nie Selbstzweck oder lediglich Traditionen einer anderen Kultur. Auch wird niemandem gehuldigt oder Unterwerfung dargestellt. Verbeugungen in den Kampfkünsten sind Ausdruck von Höflichkeit und das Verständnis, auch ohne Worte viel ausdrücken zu können.
Was ist Kata?
Das Wort Kata an sich steht für "festgelegte Form".
Kata ist die stilisierte Form eines Kampfes gegen mehrere imaginäre Gegner.
"Ursprünglich wurde in Karate nur Kata trainiert - von morgens bis abends. Jede Trainingsstunde begann mit Kataübungen und bis zur Perfektion einer Kata vergingen zwischen drei und fünf Jahre",
antwortete Masatomo Takagi (Managing Dirctor der JKA - Japan Karate Association) einem Reporter in den frühen 60er Jahren.
Takagi war noch ein Schüler von Gichin Funakoshi, dem Begründer des in Europa populärsten Karatestils: dem Shotokan-Karate.
Erst später wurden von Funakoshi in Zusammenarbeit mit anderen großen Persönlichkeiten aus Judo und anderen Karatestilen erste Partnerübungen erarbeitet, bei denen Angriffe und Gegenangriffe genau festgelegt werden (Yakusoku-Kumite).
Die ersten Freikampfmeisterschaften fanden erst 1957 statt. Kumite (= Kampf) ist also eher ein neuer Aspekt des Sportkarate.
Kata gibt es nicht nur im Karate oder anderen Budokünsten (Budo= der Überbegriff für alle japanischen Kampfkunstmethoden), sondern in allen traditionellen japanischen Künsten. Mit den Katas wurden diese Künste über Generationen weitergegeben.
Kata ist geeignet, Beherrschung der Technik und die innere haltung im Besonderen zu schulen:
Atmung, Ruhe, Gelassenheit, Sicherheit, Entschlusskraft, Kampfgeist, Rhythmus.
Katas sind ideal als Ganzkörpertraining geeignet, weil in ihnen alle Techniken des Karate in exakt festgelegter Abfolge und präzise definierter Ausführung vorkommen.
Das intensive Auseinandersetzen mit Katas fördert Harmonie und Rhythmus in den kraftvoll ausgeführten Techniken. Der Trainierende gelangt zu innerer Gelassenheit und durch die zunehmende
Sicherheit zu einem Mehr an persönlicher Ausstrahlung. Auch Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit erfahren eine deutliche Steigerung.
In allen Karatestilen gibt es insgesamt etwa 70 Katas (27 davon sind Shotokan-Katas). Einige wurden schon über Generationen hinweg überliefert und andere wiederum sind relativ neu.
Merkmale:
Jede Technik und jede Bewegung einer Kata ist in Reihenfolge und Richtung genau festgelegt.
Jede Kata beginnt mit einer Abwehrtechnik. Das soll den defensiven Charakter dieser Kampfkunst unterstreichen.
Jede Kata beginnt und endet an demselben Punkt.
Jede Kata läuft nach einem ganz bestimmten Schrittdiagramm ab (jap.: Embusen).
Jede Technik und Bewegung der Kata, ob Angriffs- oder Blocktechnik, muss in ihrer Bedeutung klar verstanden sein und so zunnächst bewusst und später unbewusst ausgeführt werden.
Bunkai bedeutet die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten der Kata mit einem Partner zu üben, denn nur verstandene Techniken erwecken die Kata zum Leben - auch Kata ist Kampf!
Diese Bewustheit beim Vorführen einer Kata erstreckt sich auch darauf, dass jede Technik gezielt ausgeführt wird, dass man die imaginären Gegner und ihre Angriffe ganz bewusst "sieht" und entsprechend reagiert. Diese Bewusstheit, diesen Wachheitszustand bezeichnet der Japaner als Zanshin.
Zanshin ist in allen Kampfkünsten von großer Bedeutung. Besonders am Schluss einer Kata, wo man mit dieser Zanshin noch einige Sekunden nach der letzten Technik verweilt und erst dann, wenn kein weiterer "Angriff" mehr folgt, langsam und ruhig wieder die Grundstellung einnimmt und sich dabei vollkommen entspannt - äußerlich die Muskeln und innerlich den Geist.
Hinweis zu unserer Quellenangabe: In diesem sehr verständlich aufbereiteten Standardwerk für derzeitige und werdende Karatekas findet ihr alles Wissenswerte rund um Karate, Schwerpunkt Kata.
Quelle: Pflüger, Albrecht. 27 Shotokan Katas, Falken Verlag 2002
empfohlen vom Deutschen Karate Verband e.V.
Karate-Kata Shotokan
Heian = ursprünglich Pinan, Frieden/friedvoller Gedanke
Bassai (Dai/Sho) = Bassai/Passai ist der Originalname, Eine Festung erstürmen (Dai = groß, Sho = klein)
Kanku (Dai/Sho) = ursprünglich Kushanku, Blick in den Himmel
Tekki = ursprünglich Naihanchi, Eisenreiter
Jion = Jion ist der Originalname, Tempelklang
Jitte = Jitte ist der Originalname, Tempelhand
Ji'in = ist der Originalname, Tempelboden
Enpi = ursprünglich Wanshu, Flug der Schwalbe
Hangetsu = ursprünglich Seishan, Halbmond
Gangaku = ursprünglich Chinto, Kranich auf dem Felsen
Nijushiho = ursprünglich Niseishi, 24 Schritte
Meikyo = ursprünglich Rohai, Reinigen des Spiegels
Sochin = Sochin ist der Originalname
So = Stärke / chin = Ruhe, Ruhige Kraft
Wankan = Wankan ist der Originalname, Krone des Königs
Chinte = Chinte ist der Originalname, Seltene Hand
Die 20 Regeln des Shotokan-Karate
1. Karate-dõ wa rei-ni hajimari, rei-ni owaru koto-u. - Karate beginnt mit Respekt und endet mit Respekt.
2. Karate-ni sente nashi. - Im Karate macht man nicht die erste Bewegung.
3. Karate-wa gi-no-tasuke. - Karate ist ein Helfer der Gerechtigkeit.
4. Mazu jiko-o shire, shìkoshite tao-wa shire. - Erkenne dich selbst zuerst, dann den anderen.
5. Gijutsu yooi shinjutsu. - Intuition ist wichtiger als Technik.
6. Kokoro-wa hanatan koko-o yosu. - Lerne deinen Geist zu kontrollieren und befreie ihn dann.
7. Wazawai-wa getai-ni shozu. - Unglück geschieht immer durch Unachtsamkeit.
8. Dojo-nomino karate-to omou na. - Glaube nicht, daß Karate nur im Dojo stattfindet.
9. Karate-no shugyo wa issho de-aru. - Karate üben, heißt ein Leben lang zu arbeiten; darin gibt es keine Grenzen.
10. Arai-yuru mono-o karate-wa seyo, soko-ni myo mi-ari. - Verbinde dein alltägliches Leben mit Karate, dann wirst du myo finden.
11. Karate-wa yu-no-gotoshi taezu netsudo-o ataezareba moto-no mizu-ni kaeru. - Wahres Karate ist wie heißes Wasser, das abkühlt, wenn du es nicht beständig erwärmst.
12. Katsu kangae-wa motsu namakenu kangae-wa hitsuyo. - Denke nicht ans Gewinnen, doch denke darüber nach, wie du nicht verlierst.
13. Tekki-no yotte tenka seyo. - Verändere deine Verteidigung gegenüber dem Feind.
14. Tattakai-wa keyo-jitsu no soju ikan-ni ari. - Der Kampf entspricht immer deiner Fähigkeit, mit keyo (unbewacht) und jitsu (bewacht) umzugehen.
15. Hito-no-teashi-o ken to omou. - Stelle dir deine Hand und deinen Fuß als Schwert vor.
16. Danshi mon-o izureba hyakuman-no tekki ari. - Wenn du den Ort verläßt, an dem du zu Hause bist, machst du dir zahlreiche Feinde. Ein solches Verhalten lädt dir Ärger ein.
17. Kamae-wa shoshinsha-ni ato-wa shizentai. - Anfänger müssen alle Haltungen ohne eigenes Urteil meistern, erst danach erreichen sie einen natürlichen Zustand.
18. Kata-wa tadashiku jissenwa betsu mono. - Die Kata muß ohne Veränderung korrekt ausgeführt werden, im wirklichen Kampf gilt das Gegenteil.
19. Chikara-no kyojaku karada-no shinshiku waza-no kankyo-o wasaruna. - Hart und weich, Spannung und Entspannung, langsam und schnell – alles in Verbindung mit der richtigen
Atmung.
20. Tsune-ni shinen kufu seyo. - Erinnere dich und denke immer an kufu - lebe die Vorschriften jeden Tag.
Gichin Funakoshi
Geschichte des Karate-Do
Der Name Karate, vollständiger Karate-Do, übersetzt man heute
"Der Weg der leeren Hand".
Das war nicht immer so: Bis in die 1930ger Jahre hinein meinte dasselbe Wort in Japan einfach nur "China-Hand" oder "Methode aus China" als Hinweis auf die Herkunft dieser Kampfkunst. Aus politischen Gründen des aufkommenden Nationalismus in Japan, ändert man nicht das Wort, sehr wohl jedoch die Schriftzeichen hinter dem Klanglaut in die obige Bedeutung um.
Ursprünge
Der Legende nach erreichte der buddhistische Mönch Daruma Taishi, von Südindien kommend, im 6. Jahrhundert das Kloster Shaolin. Er begründete dort den Chan=Zen-Buddhismus und unterwies die Mönche in Übungen zur körperlichen Ertüchtigung, damit diese die anstrengenden Meditationsweisen überhaupt aushielten.
So soll das Shaolin-Kungfu (jap. Kempo) entstanden sein, aus dem sich dann die über 600 Stile der chinesischen Kampfkunst (Wushu= Anstrengung, Bemühung) entwickelte.
Historisch greifbar wird die China-Hand dann auf Okinawa im 14. Jahrhundert unserer Rechnung: Okinawa, damals Zentrum eines unabhängigen Königreiches, fungierte für den gesamten asiatischen Raum – heutiges China, Japan, Korea, Mongolei – als Hauptumschlagsplatz des Handels. So etwas weckt Begehrlichkeiten: Ständige Unruhen und Aufstände schürten ein begleitendes Bedürfnis nach Selbstverteidigung. Als 1416 das Inselreich unter König Sho Shin, verstärkt noch im frühen 17. Jahrhundert, als der Clan der Shimazu sich zu Herren Okinawas aufschwangen, verschmolz die China-Hand mit einheimischen Kampfmethoden, dem Todé. Denn die neuen Herren verboten aus Furcht vor Aufruhr jedes bürgerliche und bäuerliche Waffentragen, erlaubten jedoch durchaus ihren Kriegern, den Samurai, mit der Bevölkerung nach Belieben zu verfahren.
Dies führte einerseits zum Kobudo, der Umwandlung bäuerlichen Alltagsgerätes zu hocheffizienten Waffen (Tonfa = Wirbelstock, heute bei der Polizei üblich, war einst der Griff der Schrotmühle/ Sai = Pflanzgerät, um die Reisschösslinge zu setzen/ Nunchaku = Dreschflegel für das Reisstroh). Häufig übernahmen allerdings die Samurai diese Waffen bzw. konterten sie durch ebenfalls phantasievolle Alltagsdinge aus: Fächer mit Eisenspitzen, Haarnadeln, Zaumzeug-Ketten (Manriki-Kusari)…alles konnte und wurde eingesetzt.
Zum anderen ging die waffenlose Selbstverteidigung quasi in den Untergrund: das Überliefern und Trainieren dieser Systeme geschah schriftlos durch spezielle Bewegungsformen, die sich wiederum an bestehende zeremonielle Tanzfolgen anlehnten, zur Tarnung vor Spionen, und auch das Üben in stilisierter Form betrieben. So konnte die Gefährlichkeit dieser Techniken nicht entdeckt werden – die Kata war erfunden!
Ende des 19. Jahrhunderts war Karate nur (was heißt eigentlich "nur"?), zur reinen Körperertüchtigung für Schulkinder geworden, als mehrere Auswanderungswellen von Okinawa nach Hawai erstmals Amerikaner auf Karate aufmerksam machte (USA hatte 1898 Hawai annektiert).
Parallel dazu entwickelte ein Lehrer, Gichin Funakoshi, das moderne Sportkarate als eine Möglichkeit der Charakterbildung und führte sein System dem Tenno, dem japanischen Kaiser, vor. Der war begeistert und Karate wurde als einzige Kunst aus nichtadligem Ursprung in den Kanon des Bushido, der Künste des Kriegers, aufgenommen. Die Popularisierungswirkung war enorm. 1924 Gründete Funakoshi das erste Karate-Dojo, nachdem er 1922 schon das erste Lehrbuch des Karate veröffentlicht hatte. An den Universitäten fand er begeisterte Eleven.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Besetzung Japans durch die Amerikaner, wurden die amerikanischen Medien und damit die amerikanische Öffentlichkeit bald auf die schlagzeilenträchige "tödliche" Kampfkunst aufmerksam. Hier wurde auch der Impuls gesetzt, Karate zu einem Wettkampfsport, zu einem Duell Mann gegen Mann (Frauen durften offiziell erst ab den 1970ger Jahren kämpfen!), zu entwickeln.
1954 gründete Henry Plee in Paris das erste europäische Budo-Dojo. Von dort brachte der Judoka Jürgen Seydel es nach Deutschland mit; er organisierte Karate-Lehrgänge und konnte diesen Sport als Unterabteilung des Judo-Verbandes bei uns etablieren.
1961 gründete sich der erste Verband der wachsende Schar von Karateka; in den 1970ger/ 1980ger Jahren fanden sich die größten Verbände zum heutigen Dachverband dem "Deutschen Karate Verband (DKV)" zusammen.
Karate als Selbstverteidigung
Aus der Geschichte dieser Kampfkunst ergibt sich ein Aspekt, der auch im modernen Sport-Karate noch gepflegt wird, obwohl er für die Laien nicht leicht zu erkennen ist: Karate als die Kunst der Selbstverteidigung!
Die "Väter" des Karate gingen stets davon aus, dass der Angreifer stärker ist als der Verteidiger – weil Ersterer entweder bewaffnet, in der Überzahl oder physisch überlegen war.
Aus dieser Annahme ergaben sich eine Reihe von Folgerungen, welche wiederum in die Techniken direkt eingebaut wurden:
Der Angreifer darf nur die Chance zu einer einzigen Bewegung haben; alles weitere Geschehen muss dann von dem Verteidiger bestimmt werden! Die Hand- und Fußtechniken zur Abwehr mussten demzufolge stets einsetzbar, direkt, stark, vielseitig und gleichzeitig kontrollierbar sein.
Stärke und Wucht ergaben sich aus einem cleveren Wechsel von An- und Entspannung; der Karateka ist immer entspannt… mit Ausnahme des kurzen Moments des Körperkontaktes, dem "Einschlagens" der Technik; tatsächlich werden auf diese Weise beide Energieanwendungen des menschlichen Körpers, den über die Atmung (aerobe Energie) und die des direkten Zucker- Fett- und Eiweißverbrennens (anaerobe Energie) gleichzeitig verwandt und geschult… was für eine Sportart selten ist!
Die Direktheit der Techniken ergab sich aus der Bevorzugung der Geraden als kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten (Faust und Kopf z.B.). Dies blieb auch so, als Hand- und Fußschläge durch Ausnutzen der Schnappbewegung in den Scharniergelenken entwickelt wurden. Karate hat etwas stilisiertes, schnörkelloses an sich; für ein "Posieren", ein Hin- und Herpendeln hat der Karateka keine Zeit!
Die Vielseitigkeit ergibt sich aus der ersten Forderung nach Unverzüglichkeit: jede Bewegung, jede Technik im Karate erhebt den Anspruch, für Abwehr und Angriff gleichermaßen, ja gleichzeitig anwendbar zu sein; so kann z.B. der Unterarm, der die angreifende Faust blockt, gleichzeitig den Hals oder Kopf des Angreifers treffen!
Auch die Kontrollierbarkeit der Technik ergab sich zunächst aus einer Notwendigkeit: da die gedachten Angreifer Samurai waren und diese durchaus in der Lage waren, Bewegungsabläufe zu erkennen und diesen oft zuvorzukommen, musste der Verteidiger in jedem Moment in der Lage sein, die eigene Bewegung abzubrechen und flexibel zu anderen Bewegungen überzugehen. Diese Kontrollierbarkeit ist heute das höchste Gut im Sport-Karate denn sonst wäre ein Zweikampf mit dermaßen effektiven Techniken ohne Verletzungsgefahr nicht möglich! Weshalb eine Reihe von sehr wirksamen Techniken auch nicht im Wettkampf (Kumite) erlaubt sind: sie sind zu schlecht zu kontrollieren oder ihr Ziel anzugreifen ist überhaupt verboten.
Außer in besonderen Trainingseinheiten übt heute der Karateka Selbstverteidigung in der Kata, insbesondere in der Bunkai-Kata.
Der ernste Hintergrund des Karate als eine Überlebensmöglichkeit prägte auch die innere Einstellung des Karateka, für den jeder vermiedene Kampf (auf der Straße) ein gewonnener Kampf bedeutet:
"Karate macht nie die erste Bewegung!"
(Gichin Funakoshi)